Bürgermeisterin Christine Klein (5. von links) hisste am Dienstag, 25. November, vor dem Bensheimer Rathaus mit zahlreichen Mitstreitern die „Orange the World“-Fahne und die Fahne des Hilfetelefons Gewalt gegen Frauen. Foto: Pressedienst Bensheim
Unter dem Namen „Orange the World“ rufen die Vereinten Nationen seit 2008 zwischen dem 25. November und dem 10. Dezember zu 16 Tagen Aktivismus gegen Gewalt an Frauen und Mädchen auf
Pressedienst Bensheim
BENSHEIM. – Die Zahlen sind unmissverständlich, machen betroffen und verdeutlichen unzweifelhaft: Deutschland hat ein wachsendes Problem mit Gewalt gegen Frauen. Am Freitag hat das Bundeskriminalamt zwei Lagebilder vorgestellt – zur häuslichen Gewalt und zur Gewalt gegen Frauen.
Daraus geht hervor, dass 308 Frauen und Mädchen im vergangenen Jahr in Deutschland gewaltsam umgekommen sind. 191 davon durch ein Familienmitglied. Die Fälle häuslicher Gewalt haben 2024 erneut zugenommen: 266.000 Opfer bedeuten etwa 10.000 mehr als im Jahr zuvor. 85 Prozent aller Opfer von Partnerschaftstötungen waren weiblich. Die Zahlen insgesamt bedeuten, dass durchschnittlich pro Stunde 15 Frauen Opfer von partnerschaftlicher Gewalt werden.
„Das sind erschreckende Zahlen. Die Dunkelziffer ist sogar weitaus höher, viele Betroffene erstatten aus Scham und Angst keine Anzeige oder suchen sich deshalb auch keine Hilfe“, betonte Bürgermeisterin Christine Klein am Dienstag vor dem Rathaus.
Dort hisste sie gemeinsam mit weiteren Mitstreiterinnen, darunter Stadtverordnetenvorsteherin Christine Deppert, Stadträtin Waltrud Ottiger, die GRÜNEN-Fraktionschefin Doris Sterzelmaier, Marion Vatter vom Frauenbüro Bensheim, die interne Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte Kerstin Hundsdorf, Personalratsvorsitzende Elke Ritter, Andrea Schilling, Mitarbeiterin im Frauenhaus Bergstraße, Martina Evertz, Vorsitzende des Vereins Frauenhaus, die „Orange the World“-Fahne sowie die Fahne des Hilfetelefons Gewalt gegen Frauen.
Das Hilfetelefon bietet Betroffenen unter der Nummer 116 016 rund um die Uhr kostenlose und anonyme Beratung in 19 Sprachen an. Darüber hinaus gibt es unter der Telefonnummer 0800 1239900 ein Hilfetelefon für Männer, die Gewalt erleben – sei es in der Partnerschaft, am Arbeitsplatz oder im Freundes- und Familienkreis.
Unter dem Namen „Orange the World“ rufen die Vereinten Nationen seit 2008 zwischen dem 25. November und dem 10. Dezember zu 16 Tagen Aktivismus gegen Gewalt an Frauen und Mädchen auf.
Straftaten und Gewalt gegen Frauen haben viele Facetten. Aus dem aktuellen Lagebild zu „geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ des BKA geht hervor, dass mehr als 18.224 Frauen und Mädchen im vergangenen Jahr Opfer von digitaler Gewalt wurden – zum Beispiel von Cyberstalking, Deepfake-Pornografie oder anderen Straftaten, die unter anderem über soziale Medien begangen wurden. Im Vergleich zum Vorjahr stellen die Zahlen einen Anstieg um sechs Prozent dar, im Fünf-Jahres-Vergleich ist es sogar mehr als eine Verdoppelung.
Marion Vatter hatte wie in den vergangenen Jahren die Fahnenhissung organisiert und verdeutlichte, warum es lebenswichtig ist, Zeichen zu setzen und Öffentlichkeit herzustellen. Andrea Schilling ging kurz auf die Zahlen des Lageberichts ein, erinnerte aber vor allem eindringlich daran, dass hinter jeder Zahl eine Frau mit all ihrem Leid, ihren Ängsten und Nöten steht.
„Gewalterfahrungen und auch die allgegenwärtige Angst vor Gewalt hindern Frauen und Mädchen an einer gleichberechtigten und umfassenden Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Gewalt gegen Frauen ist weltweit eine der am stärksten verbreiteten Menschenrechtsverletzungen“, bemerkte Andrea Schilling.
Zwei Drittel aller Frauen, die Gewalt erleben, holen sich keine Hilfe, verwies sie wie die Bensheimer Rathauschefin auf eine hohe Dunkelziffer.
Auch der Kreis Bergstraße und Bensheim bilden leider keine Ausnahme: Die im Frühjahr 2025 veröffentlichte Polizeiliche Kriminalstatistik 2024 des Polizeipräsidiums Südhessen zeigt, dass die Delikte im Bereich häuslicher Gewalt und Stalking einen neuen Höchststand erreicht haben. Seit 2019 sind sie um 50 Prozent angestiegen.
Insgesamt wurden 1.936 Fälle häuslicher Gewalt registriert, was einem Plus von 6,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht und den höchsten Wert in der Langzeitbetrachtung darstellt. Unter den 1.611 ermittelten Tatverdächtigen sind rund 80 Prozent Männer.
Auch im Bereich Stalking setzen sich die steigenden Fallzahlen fort: Mit 251 Taten wurde ebenfalls ein Höchststand erreicht. Für die Stadt Bensheim weist die Statistik insgesamt 61 erfasste Straftaten im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt aus.
Hinzu kommen in diesem und im vergangenen Jahr vier Morde an Frauen im Kreis Bergstraße. „Zwei der getöteten Frauen sind nachgewiesene Femizide. Die Frauen verloren ihr Leben, weil ihre Partner oder Ex-Partner über ihr Lebensende entschieden haben“, verdeutlichte Andrea Schilling und rief zu einer Schweigeminute für die Opfer auf.
Sie kritisierte deutlich, dass den jährlich steigenden Fallzahlen ein lückenhaftes und chronisch unterfinanziertes Hilfesystem mit rund 14.000 fehlenden Frauenhausplätzen und völlig überlasteten Beratungseinrichtungen gegenüberstehe.
Notwendig sei daher ein flächendeckender Ausbau von Täterarbeit und Angebote für die Betroffenen. Es müsse viel mehr Präventionsarbeit geleistet werden. Das Gewalthilfegesetz bewerte Schilling zwar als „Meilenstein“. Aber hier müssten noch viele Aufgaben erledigt und offene Fragen geklärt werden.
Christine Klein bedankte sich am Dienstag abschließend bei allen, die sich engagieren und die Aktionen unterstützen, besonders bei den Mitarbeiterinnen des Frauenhauses, den ehrenamtlich engagierten Vereinsmitgliedern und nicht zuletzt bei der Polizei, für die Polizeioberkommissarin Martina Sattler an der Veranstaltung teilnahm.
Die Bürgermeisterin appellierte an alle, nicht wegzuschauen, sondern aktiv auf Frauen zuzugehen, die von Problemen oder Gewalterfahrungen berichten. Denn: „Der gefährlichste Ort für Frauen ist nicht der öffentliche Raum, sondern das eigene Zuhause.“ Nur werde dies nach wie vor zu wenig thematisiert.
Die Teilnehmenden an der Aktion vor dem Rathaus waren sich einig: Es gibt noch viel zu tun, auch wenn bereits einiges erreicht werden konnte. Der 2002 ins Leben gerufene Arbeitskreis gegen häusliche Gewalt hat auch in diesem Jahr mit vielen Aktionen Aufmerksamkeit erzeugt. Sei es mit der bekannten Brötchentütenaktion oder der von Marion Vatter organisierten Filmvorführung „Googoosh – Made of Fire“ im Luxor-Filmpalast in Bensheim.
Im Dezember 1999 legte die UN-Generalversammlung den 25. November als „Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen“ fest. An dem Tag wird auch den vier Schwestern Mirabal gedacht, die am 25. November 1960 wegen ihres politischen Widerstands gegen das diktatorische Regime in der Dominikanischen Republik inhaftiert und gefoltert worden sind.
Drei Schwestern starben im Gefängnis, nur eine überlebte. Der Mut der Schwestern gilt als Symbol für Frauen weltweit, die nötige Kraft zu entwickeln, um sich gegen Unrecht zu wehren.












